„Housing First“ – Neue Sichtweisen in der Wohnungslosenhilfe

Bildunterzeile vordere Reihe von links: Philip Schmidtke-Mönkediek, Arne Hermann Stopsack, Berthold Schöpe, Kai Abruszat hintere Reihe von links: LWL-Landesrat Urs Frigger, Siegbert May, Dieter Homann, Martina Denter

Wohnungslosigkeit ist ein Problem, von dem im Jahre 2020 über 250.000 Menschen (ohne Flüchtlinge) betroffen waren. Um diesem Problem zu begegnen, ist in den letzten Jahren das Konzept „Housing First“ in den Blickpunkt der Fachwelt getreten. Der Arbeitskreis Soziales der Fraktion von FDP und Freien Wählern im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat sich mit jetzt intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Im Rahmen der diesjährigen Klausurtagung kamen die Regionalpolitiker um ihren Fraktionsarbeitskreisleiter Siegbert May (Werl) und Fraktionsvorsitzenden Arne Hermann Stopsack (Hemer) in Hamm und Sendenhorst zusammen, um das Thema umfassend aus praktischer und theoretischer Sicht zu beleuchten. Siegbert May konnte dabei noch auf zahlreiche Erfahrungen aus seiner Zeit als Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes in Hamm zurückgreifen.

Housing First ist ein Ansatz aus der US-amerikanischen Sozialpolitik beim Umgang mit Obdachlosigkeit und eine Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften und vorübergehender Unterbringung und entstand vor gut 20 Jahren. Seit einigen Jahren wird dieser Ansatz in Europa und jetzt auch in Deutschland umgesetzt. Das zumeist bestehende Stufenmodell, in dem ein Umzug zwischen verschiedenen Wohnformen vorgesehen ist (beispielsweise von wohnungslos zum Nachtquartier zum Übergangswohnen und dann erst in die eigene Wohnung) bedeutet zwar, dass auch hier am Ende die eigene Wohnung steht. Jedoch ist zumeist vorgesehen, dass mit dem Einzug in die eigene Wohnung auch die Unterstützung endet. Im Unterschied zu anderen Programmen müssen sich die Obdachlosen im Rahmen von Housing First nicht durch verschiedene Ebenen der Unterbringungsformen für unabhängige und dauerhafte Wohnungen „qualifizieren“, sondern können direkt in eine „eigene“ Wohnung ziehen.

Im Gespräch mit Martina Frie

Zunächst führten die Politiker von Freien Demokraten und Freien Wählern ein Gespräch mit der Leiterin des Wohnhauses Bodelschwinghstraße der evangelischen Perthes-Stiftung Martina Frie in Hamm. Hier im Stammhaus finden 44 Menschen zeitweise ein Zuhause, die aus eigener Kraft ihre Schwierigkeiten, die oftmals durch Abhängigkeitserkrankungen, Überschuldungssituationen, Haftzeiten, dem Verlust von Wohnung oder Arbeit entstanden sind, nicht mehr bewältigen können. Die durchschnittliche Verweildauer beträgt ca. 2 Jahre. Der LWL trägt für diese Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten die Kosten. Das Ziel dieser Einrichtung ist es, den Menschen anhand von diverser individueller Beratung und Unterstützung den Wiedereinstieg in ein normales Leben zu ermöglichen. Siegbert May und Arne Hermann Stopsack lobten die motivierte Arbeit von Martina Frie mit ihrem Team, die mit diverser individueller Beratung die untergebrachten Menschen in ihrer Eigenständigkeit so fördern, damit sie ihre sozialen Schwierigkeiten schnell überwinden können.

In einem anschließenden Gespräch im Ambulanten Zentrum in Hamm war das Schwerpunktthema „Housing First. Lange sei es in der Wohnungslosenhilfe genau andersherum gewesen, berichtet Martina Denter von der Sozialberatungsstelle Hamm. Bevor eine eigene Wohnung überhaupt ermöglicht werden konnte, mussten alle anderen Bedingungen erfüllt sein. Das heißt, im Falle einer Suchterkrankung erstmal clean werden und im Falle von Arbeitslosigkeit erstmal einen Job finden. Ohne Meldeadresse ist das nicht möglich. Hier bietet die Sozialberatungsstelle eine Meldeadresse und übernimmt auch die Geldauszahlungen an die Wohnungslosen.

„Wohnen ist ein Menschenrecht! „Housing First“ ist ein erster Schritt hin zu einer anderen Sichtweise auf Obdachlosigkeit“, erläuterte Dieter Homann, zuständig für das ambulant betreute Wohnen des evangelischen Perthes-Werkes. Wohnungslose Menschen erhalten zuerst einen eigenen Mietvertrag mit allen Rechten und Pflichten und zwar ohne irgendwelche Bedingungen dafür im Vorfeld erfüllen zu müssen. Professionelle Hilfe und Unterstützungen sind fester Bestandteil des Konzepts – allerdings sind sie freiwillig und eng verknüpft an die individuellen Ziele und Wünsche der Mieterinnen und Mieter.

Abschließend berichtet Berthold Schöpe vom Caritasverband Hamm zur Bedarfslage wohnungsloser Menschen. 362 Menschen waren zum Stichtag 30. Juni 2021 in Hamm als wohnungslos gemeldet. Der größte Teil davon kommt bei Freunden oder Verwandten unter, ein kleiner Teil bleibt auf der Straße. Hier werden in der Notunterkunft der Stadt Hamm an der Dortmunder Straße Zimmer oder in der Einmalübernachtung Betten angeboten. Das Verhältnis von weiblichen und männlichen Bewohnern liegt in etwa bei 1 zu 3. Die Altersstruktur liegt zwischen 18 Jahre bis hin ins Seniorenalter.

Zum Abschluss der Klausurtagung sprachen die Mitglieder des FDP-FW-FAK Soziales am Samstag mit Hartmut Baar, Abteilungsleiter des LWL-Inklusionsamtes Soziale Teilhabe. Zur Umsetzung von „Housing First“ legt der LWL eine Förderrichtlinie auf der Grundlage von 17 Eckpunkten im Zusammenhang mit der Umsetzung von „Housing First“-Projekten vor, die im Landschaftsausschuss am 10. Juni 2022 beschlossen werden soll. Die Umsetzung soll in den Jahren 2022 bis 2027 erfolgen, für die Finanzierung aller Projekte steht im Sozialhaushalt für diesen Zeitraum ein Betrag von insgesamt 6. Mio. Euro zur Verfügung.

Das Modellprojekt „Housing First“ kann die anderen Hilfsangebote nicht komplett ersetzen. Es kann aber für viele ein Gewinn sein. Dies ist abhängig von den Diagnosekriterien, so das Fazit der FDP-FW-Sozialpolitiker. „Besonders wichtig ist uns eine wissenschaftliche Begleitung“, so Siegbert May und Arne Hermann Stopsack. „Hier bietet sich eine Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften und vorübergehender Unterbringung. Nicht zuletzt kann dies auch für den Staat aus finanzieller Sicht günstiger sein als die Obdachlosigkeit“.



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